Reihenbildung im Literaturbetrieb

17. bis 19. Juni 2026

Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Institut für Germanistik, Universit?t Bamberg
 

Konzept und Organisation


David-Christopher Assmann und Christoph Jürgensen

In Kooperation mit der Internationalen Buchwissenschaftlichen Gesellschaft
 

?ber die Tagung


Reihenbildung ist aus dem Literaturbetrieb nicht wegzudenken: Von der edition suhrkamp über Lübbe Belletristik bis zu Sch?ner Lesen (SuKuLTuR); von der Insel-Bücherei über Die Andere Bibliothek des Aufbau Verlags bis zu Reclams Universal-Bibliothek; von Rowohlts rororo über Wagenbachs SALTO-B?nde bis zu Zeitungsreihen wie SZ Bibliothek, Bild Bestseller-Bibliothek oder Brigitte-Edition – die Reihe der Reihen lie?e sich nahezu beliebig fortsetzen. Und Fantasy-, Krimi- oder Romance-Reihen wie die Edinburgh Love Stories von Ullstein oder der Piper-Imprint everlove sind damit noch gar nicht genannt. Gleiches gilt für historische, zwischenzeitlich eingestellte oder nur geplante, aber nie realisierte Reihen. Als Organisationseinheiten der Produktion, Vermittlung, Medialisierung und Rezeption buchf?rmiger Literatur ist Reihenbildung allgegenw?rtig. Es gibt kaum ein Segment des Literaturbetriebs, das ohne sie auskommt: Reihen bestimmen das popul?re Sachbuch genauso wie den Young Adult-Bereich, den sich selbst als High Culture beschreibenden Buchmarkt oder die Publikationsformate diverser wissenschaftlicher Disziplinen, inklusive der Literatur- und Buchwissenschaft. Reihen sind denn auch weit mehr als nur eine Abfolge von Büchern, die unter einem gemeinsamen (Reihen-)Titel erscheinen. Sie sind Gegenstand und Ausdruck von Verlags- und Vermittlungsstrategien und beeinflussen diese ebenso wie die konkreten Buchformen. Sie haben Auswirkungen sowohl auf individuelle Leseerfahrungen als auch auf feldübergreifende Marketing- und Kanonisierungsformationen.

Die geplante Veranstaltung setzt an dieser Stelle an und nimmt historische wie aktuelle Formen und Funktionen literaturbetrieblicher Reihenbildung erstmals systematisch und in vergleichenden Fallstudien in den Blick. Den Fluchtpunkt der Tagung bildet ein historisch-systematischer Zugriff auf das Ph?nomen der Reihe, der diese als textmaterielles Medium zu konturieren und als Element sozialer Praxis mit eigenen Routinen, Techniken und Wissensbezügen zu bestimmen vermag. Um Reihen als komplexe, dynamische und sozial verwobene textmaterielle Formen des literarischen Feldes untersuchen zu k?nnen, profiliert die Veranstaltung eine interdisziplin?re Perspektive, die drei theoretisch-methodische Bausteine miteinander kombiniert: 

  1. Literatur- und kulturwissenschaftliche Studien zur Serialit?t im Allgemeinen, zur Reihe im Besonderen,
  2. Medientheoretische Erweiterungen der Paratexttheorie,
  3. Praxeologische Arbeiten aus dem Feld der Sozialwissenschaften.

Elemente einer Theorie literaturbetrieblicher Reihenbildung

Im Anschluss an die literatur- und buchwissenschaftliche Reihen-Forschung l?sst sich das Reihenf?rmige der Reihe als Form eines seriellen Verfahrens verstehen, das sich in einer Abfolge einheitlich pr?sentierter, abgeschlossener B?nde unterschiedlicher Autor:innenschaft manifestiert. Literaturbetriebliche Reihenbildung ist an einem m?glichst pr?gnanten, kommunikativ anschlussf?higen Image des jeweiligen Verlagsprogramms orientiert, erm?glicht aber zugleich eine gewisse Flexibilit?t innerhalb des vorgegebenen Rahmens. W?hrend die Sachdimension einer Reihe durch ein thematisch-inhaltlich-konzeptionelles Programm bestimmt wird, das als stabile Einfassung der B?nde fungiert, kennzeichnet ihre Zeitdimension eine buchf?rmige Unbegrenztheit: Der Abschluss der Reihe bleibt stets offen.

Aus der Perspektive der Paratexttheorie kommt der Reihe mit Bezug auf die Einzelb?nde, die sie rahmt, eine paratextuelle Funktion zu. Die ihnen zugeschriebene lektüresteuernde Relevanz l?sst Reihen sowohl als ordnende Elemente kommunikativer Prozesse als auch als Medien der Einflussnahme auf die ?ffentlichkeit hervortreten. Daneben haben Reihen selbst Paratexte. Elemente der paratextuellen Gestaltung – wie etwa eine typisierte Ausstattung und wiedererkennbare Buchgestaltung – konstituieren in zentraler Weise Reihenzugeh?rigkeit, visuelle Koh?renz und markenspezifische Imagebildung.

Als paratextuelle Arrangements sind Reihen in sozialmaterielle Kollektive vielf?ltiger Akteurs- und Formatkonstellationen eingebunden. Eine praxeologische Sichtweise fokussiert auf kollektiv geteilte, habitualisierte Handlungsmuster: die allt?glichen Routinen, impliziten Regeln und Techniken der Akteure, die an der Entstehung, Gestaltung, Vermittlung und Rezeption von literaturbetrieblichen Reihen beteiligt sind und deren Erwartungen (etwa an thematische Kontinuit?ten, programmatische Anforderungen oder Leseerfahrungen) gleichzeitig durch Reihenbildung gelenkt wird.

Analysedimensionen

Die geplante Veranstaltung schl?gt vor, drei Dimensionen der Analyse von Reihenbildung im Literaturbetrieb heuristisch zu unterscheiden:

1) Formen und Verfahren
Welche Elemente bestimmen wie die Form einer Buchreihe? Welche Formen von literaturbetrieblichen Reihen lassen sich unterscheiden? Wie und mit welchem Selbstverst?ndnis beschreiben sich Reihen selbst? Wie beginnen Reihen, wie enden sie, wie stellen sie ihre eigene Fortsetzung sicher? Inwiefern l?sst sich für Reihenbildung im Literaturbetrieb sagen, dass sie auf einer mittleren Ebene zwischen Produktionsweisen, die auf spontane, individualisierte Sch?pfungsakte zurückgeführt werden, und solchen, die sich durch die systematische Umsetzung vorgegebener Pl?ne und Normen auszeichnen, operiert? Wie verhandelt Literatur ihre eigene Einbindung in Reihen?

2) Akteure und Praktiken
Welche Akteure gestalten wie und wozu literaturbetriebliche Reihenbildung? In welchem Verh?ltnis stehen Autor:innen, Verleger:innen, Lektor:innen, Buchh?ndler:innen, Leser:innen etc. zur Produktion, Verbreitung und Rezeption einer bestimmten Reihe? Wie beeinflusst die Kooperation zwischen Verlagen, Autor:innen oder Lektor:innen die thematische Ausrichtung von Buchreihen? Inwiefern l?sst sich literaturbetrieblicher Reihenbildung eine geplante Vortr?glichkeit attestieren? Was kennzeichnet die Rolle des/der Reihenherausgeber:in (im Unterschied zu Autor:innen oder Herausgeber:innen einzelner B?nde)? Welche Routinen, Kompetenzen und impliziten Wissensbest?nde sind im Umfeld von Reihen wirksam? Welche Konflikte stellen sich zwischen den Beteiligten ein? Wie ver?ndern sich Kooperationsformen in historischer Perspektive? Inwieweit spiegeln sich Erwartungen des lesenden Publikums in der inhaltlichen Gestaltung und dem Erfolg von Buchreihen wider? In welcher Reihenfolge werden Reihen gelesen?

3) Medialit?t und Materialit?t
Die paratextuell in Form gebrachte Medialit?t des Buches beeinflusst ma?geblich die Produktion, Vermittlung und Rezeption von Reihen. Diese sind nicht nur diskursive Texte, sondern dreidimensionale Formate, die Reihenbildung als textmaterielle Objekte zu erkennen geben. Wie beeinflussen diese medialen Eigenschaften die Etablierung, Wahrnehmung und Nutzung von Reihen? Welche paratextuellen Formen konstituieren eine Reihe? Inwiefern ist das (zum Beispiel buchh?ndlerische) Hantieren mit Reihen an spezifische Reihenmerkmale – etwa Covergestaltung, Seriennummerierung oder fortlaufende Kollektionen, Buchformat – gebunden? Wie werden Buchreihen im Regal positioniert? In welchem Ma?e beeinflussen technologische Entwicklungen die Art und Weise, wie Buchreihen entstehen und verbreitet werden? Welche langfristigen Auswirkungen hat die physische Pr?senz buchf?rmiger Reihen auf ihre Rezeption?